Der schwarze BMW fuhr mit angemessenem Tempo durch die Stadt. D’javol hatte nichts dagegen, schnell zu fahren, aber er fand es jeweils mühsam, wenn die Polizei ihn anhielt. Nicht dass sie ihm etwas antun würden, aber es war einfach eine Umständlichkeit und letztlich ein grösserer Zeitverlust, als wenn man mit angebrachtem Tempo durch die Stadt fuhr. Der dichte Verkehr förderte eine hohe Geschwindigkeit ebensowenig. So hatte D’javol seine Männer angewiesen stets auf die Geschwindigkeit zu achten, wenn sie mit ihm unterwegs waren. Er mochte es Beifahrer zu sein. Das gab ihm die Möglichkeit die Stadt zu beobachten, seinen Gedanken nachzugehen oder einfach nur zu planen. Oft nutzte er die Gelegenheit auch um Zeitung zu lesen, Bericht durchzugehen, Zahlen durchzurechnen, Anweisungen zu schreiben und was sonst noch im Arbeitsalltag anfiel. Er war sehr genau bei solchen Arbeiten. Er war Staris rechte Hand und war somit sein wichtigster Berater, in allen Fragen. Das bedeutete, dass er selbst in allen Bereich gut zu Recht kommen musste. Natürlich hatte Stari auf jedem Gebiet Berater, beispielsweise Buchhalter, aber letztlich traute der Mann niemandem so sehr wie er D’javol traute.
D’javol selbst hatte all diese Dinge von Stari gelernt. Lesen, Schreiben, Rechnen, Planen und noch so vieles mehr, dass man gebrauchte wenn man eine Organisation führte. Denn auch eine kriminelle Organisation war letztlich nichts anderes als eben eine Organisation. Es bedurfte viel und genauer Arbeit um ein solches Gebilde zu führen. Stari war nicht dort hingelangt wo er war, weil er gnadenlos war, davon gab es viele Menschen. Nein, er war dort wo er war, weil er plante und sich stets sorgfältig mit allem auseinandersetzte. Und D’javol stand an seiner Seite und lernte. Er hatte mittlerweile so viel gelernt und kannte den alten Mann so gut, dass er meistens wusste, was dieser zu tun gedachte. Stari war der Kopf der ganzen Organisation und D’javol die Hände, welche den Willen des Kopfes durchsetzten.
Vor diesen Händen fürchteten sich die Menschen der Unterwelt. D’javol glaubte, dass selbst seine Leute sich vor ihm fürchteten. Furcht war etwas Gutes. Es hielt die Leute beieinander und brachte sie dazu dass zu tun, was getan werden musste. Furcht war was die Schafe beim Hirten hielt. Furcht war was Stari Macht gab. Furcht hielt die Welt in Bewegung. Und das war D’javol, die personifizierte Furcht. Der Motor der Welt. Er mochte es das zu sein.
Natürlich bedeutete es, dass er nicht gerade viele Freunde hatte. Wenn er ehrlich war, dann hatte er gar keine. Ausserdem machte ihn das bei Frauen auch nicht gerade beliebt. Aber solche Dinge waren ihm egal. Er interessierte sich nicht für Freundschaften oder Liebe. Auch sexuelle Bedürfnisse hatte er keine. Ihn interessierte Furcht und die daraus resultierende Macht. Viele waren der Ansicht, dass er seinen Namen erhalten hatte, weil er grausam war wie der Teufel, doch das war es nicht. Eine gewisse Grausamkeit konnte er sich nicht abschlagen, wobei er nicht viel von körperlicher Folter hielt, aber geistiger Marter war ihm sehr beliebt. Doch letztlich war dies nicht der Grund. Nein, ihm fehlte einfach jegliches positives Gefühl. Er kannte keine Liebe, keine Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit oder Freundlichkeit. Er war das was man das Böse nannte.
Der Wagen bog in eine Strasse ein und wurde langsamer. Sie hatten die Kneipe erreicht. D’javol hatte nicht lange gebraucht um herauszufinden, dass Anton Wacharowitsch ein begeisterter Anhänger des einen städtische Fussballvereins war und dass er oft in dieser Fankneipe herumhing. D’javol hatte sich erkundigt und erfahren, dass in der Kneipe viele Fussballschläger ein- und ausgingen. Wacharowitsch hatte mehrere Artikel über diese Gruppen geschrieben und versucht sie in einem besseren Licht darzustellen, als die Medien dies eigentlich taten. Es war erstaunlich, dass die Schläger den Journalisten überhaupt akzeptierten, besonders da Presseleute in diesem Milieu oft unbeliebt waren. Anscheinend hatte sich der Journalist mit den Artikeln aber viele Sympathien eingebracht und war ein gern gesehener Gast in der Kneipe.
D’javol hoffte nun, dass er hier einige Informationen erhalten würde.
Der Wagen hielt nun am Strassenrand und D’javol stieg aus. Hinter ihnen kam gerade ein zweiter Wagen zum Halten und drei Männer stiegen aus. D’javol wies sie an draussen zu warten. Er wollte alleine hineingehen und würde die Männer nur beiziehen, wenn es zu viele Leute waren. Doch er hoffte, dass es bei dieser Tageszeit nicht mehr als vier oder fünf waren. Die meisten Leute im Untergrund kannten ihn oder erkannten ihn an seiner Beschreibung und die meisten die ihn erkannten begannen vor Angst zu zittern. Er erlebte es selten, dass sich Leute in seiner Gesellschaft wohl fühlten. Selbst seine Leute wurden von der Kälte und einem gewissen Unbehagen erfasst, wenn sie mit ihm unterwegs waren. Er mochte diesen ersten Moment des Erkennens, des Erstarrens. Dieser Augenblick in dem die Furcht ihren ersten Höhepunkt hatte. Ein beinahe ekstatisches Erlebnis, welches er stets rührungslos auskostete.
Gemächlichen Schrittes betrat er die Kneipe und hielt Augenblicklich inne, als er im Raum war. Verwirrt betrachtete er den Raum. Tische waren umgekippt, Stühle lagen zerbrochen am Boden, Glasscherben waren überall verstreut, der Inhalt von Flaschen auf dem Tresen verschüttet, Bilder von der Wand gefallen und zerbrochen. Die Kneipe war völlig verwüstet. Ihm gegenüber entdeckte er fünf Männer, einer sass auf einem Barthocker und hielt sich einen blutigen Lappen an den Kopf, die übrigen standen um ihn herum. Alle betrachteten ihn erstarrt und voller Schrecken.
Wenigstens etwas normales, dachte D’javol für sich selbst. Doch kaum hatte er den Gedanken zu Ende gesponnen, bemerkte er wie sich der Gesichtsausdruck der fünf Männer wieder änderte. Dieses Mal konnte D’javol einen verwirrten Gesichtsausdruck nicht mehr unterdrücken. Seit Jahren hatte er eine solche Reaktion nicht mehr erlebt. Die Männer waren erleichtert.
Nun wurde D’javol wütend.
„Was willst du hier?!“ verlangte der Mann mit dem blutigen Lappen zu wissen. D’javol legte die Hand in seinen Mantel und zog eine dunkle Pistole hervor. Ohne ein Wort zu sagen jagte er einem der Männer eine Kugel durch den Kopf. Voller Schrecken blickten die übrigen auf die zusammensackende Leiche ihres Freundes. Dann wandten sich die in Grauen erstarrten Gesichter wieder D’javol zu, der über diesen Ausbruch an Angst nicht wirklich erfreut war.
„Was ist hier geschehen?“ wollte D’javol mit kühler und beherrschter Stimme wissen. Die Männer konnten sich aus ihrer Starre kaum lösen, so fuchtelte D’javol kurz mit der Waffe herum und warf ihnen einen fragenden Blick zu.
„Ein Mann...“ begann einer auf einmal zu stammeln. „Ein Mann ist gekommen und wollte wissen, wo Anton ist.“
„Wir wussten es nicht und da hat er alles verwüstet.“ Ergänzte ein anderer. „Er hat alles klein geschlagen und sich auch auf uns gestürzt.“
D’javol kniff die Augen zusammen. Es machte wahrscheinlich keinen Sinn zu fragen, wie der Mann ausgesehen hatte, er glaubte nicht, dass die Männer eine akkurate Beschreibung wiedergeben konnten. Ausserdem glaubte D’javol zu ahnen wer der Mann gewesen war.
„Weshalb ist er dann gegangen?“ wollte D’javol nun wissen.
Der Mann mit dem blutigen Lappen deutete auf einen Bilderrahmen, welcher auf dem Tresen lag. Es war das Foto einer Dacia, eines Landhauses. D’javols fragender Blick richtete sich nun erneut auf den Mann. „Es ist die Dacia unseres Vereins.“ Erklärte dieser mit zittriger Stimme. „Anton hat sich manchmal dorthin zurückgezogen um seine Artikel zu schreiben.“
„Wenn ihr leben wollt, dann gebt mir jetzt eine möglichst genaue Beschreibung, wie ich dorthin komme.“
Nach wenigen Minuten verliess D’javol die Kneipe. Seine Männer erkannten den Zorn in den Augen des Mannes und sofort stiegen sie in ihre Wagen. Dieses Mal würden sie mit hoher Geschwindigkeit davon brausen.