Dunkelheit lag über der Stadt. Nicht nur jene Dunkelheit, die im Frühling zu dieser Tageszeit herrschte. Eine Dunkelheit, die tiefer reichte als das was man von blossem Auge erkennen konnte. Ein Schatten lag über der Seele der Stadt und ihrer Einwohner. Letztere hatten auch aufgehört daran zu glauben, dass je ein Licht kommen würde, welches diese Düsternis wieder wegwischen könnte. Hoffnung war seit langem nicht mehr am Leben, nur noch Sünde. Einst war die Stadt auf einem Sumpfgebiet errichtet worden und obwohl man vor dem Bau alles trockengelegt hatte, konnte man die Überreste noch immer sehen. Die prächtigen Bauten, insbesondere Kirchen mit goldenen Kuppeln und prächtigen Fassaden, konnten den Sumpf nur übertünchen. Sie waren wie ein weisser Putz, welcher über eine dreckige Fassade gestrichen worden war. Die Stadt der Sünde wurde sie gemeinhin genannt. In ihr sickerte Alles zusammen und verschmolz zu einer dunklen Brühe, einer Masse der tiefsten Abgründe des menschlichen Wesens. Es war ein Abgrund, welcher nicht überwunden werden konnte.
Ein Luftzug wehte über das Land, strich über die hohen Plattenbauten der Vororte. Gelangte zum breiten Fluss, welcher die Stadt teilte. Strich einen langgezogenen Hügel hinauf, auf welchem eine riesige Siegesstatue aus Metall stand. Blies auf der anderen Seite hinab in die Altstadt, durch die schmalen Gassen, hinweg über die gepflasterten Strassen. Bis er an der Fensterscheibe einer Kunstgalerie abprallte und sich verflüchtigte.
Der Mann Namens Stari hielt ein Cocktailglas und betrachtete eines der Bilder vor ihm. Es war ein Durcheinander von Farben, meist dunklen, aber auch einigen hellen Streifen. Betrachtete man es von Weitem erkannte man darin die Form eines Gesichts, welches scheinbar in Qualen aufschrie. Das Spiel der Farben und Linien sollte die Qual aus der eigenen Seele darstellen. Nicht das Stari dies tatsächlich darin erkannte, er interessierte sich nicht für Kunst. Er verstand sie nicht. Er hatte nie gelernt sich für die Künste zu interessieren, sei es Musik, Malerei oder Theater. Seine Eltern waren Arbeiter gewesen, einfache Menschen mit einfachem Geist. Er hatte erkannt, dass es ihm nutzen könnte so zu tun als interessiere er sich dafür. Besonders wenn er in den Kreisen der Reichen und Ehrbaren verkehrte. Obwohl ehrbar waren sie wohl kaum. Er hatte viel über Kunst gelesen, versuchte dass was er gelernt hatte wiederzugeben, doch er fürchtete, dass die Leute erkannten, dass er einfach rezitierte. Daher sagte er nur wenn nötig etwas und liess die Menschen im Glauben er sei gebildet, auch wenn er es nicht war.
„Ein interessantes Werk.“ Sagte auf einmal eine Männerstimme, welche sich ihm von hinten näherte. Stari blickte kurz zur Seite und sah einen grossen Mann mit hellen, kurz geschnittenen Haaren, einem feinen Gesicht mit einer spitzen Nase, welche von einem ebensolchen Kinn unterstrichen wurde. Er war fein gekämmt, glatt rasiert und schien an gewissen Stellen leicht geschminkt zu sein. In seiner rechten hielt er ebenfalls ein Glas und liess durch seine Haltung die goldene Uhr mit kleinen funkelnden Diamanten erkennen. Sein Anzug war massgeschneidert, die Schuhe aus dunklem Leder. „Das Spiel und die Dramaturgie sind einzigartig, ein wahres Kunstwerk.“ Fuhr der Mann fort und betrachtete das Bild mit seinen blauen Augen. „Es ist eine grosse Ehre, dass es der Louvre dieser Galerie ausleiht.“ Er blickte zu Stari und lächelte aalglatt. „Verzeihen Sie, der Louvre ist ein Museum in Paris, welches eine der schönsten Kunstsammlungen besitzt.“ Erklärte er und lächelte weiterhin, wobei seine Augen von keiner Freundlichkeit berührt wurden. Er hielt weiterhin sein Glas vor sich, während die andere Hand lässig in der Hosentasche steckte. „Der Künstler wollte die Qualen der Menschlichkeit zum Ausdruck bringen, aber auch darlegen, dass diese Qualen nur Teils äusserlich bedingt sind, doch hauptsächlich von uns selbst kommen. Aber verzeihen Sie, wenn ich Sie mit meinen Ausführungen langweile. Als Student diskutierte ich gerne mit meinen Kommilitonen über die feinen Künste. Sie sind nun, nicht jedermanns Sache.“ Er betrachtete Stari weiterhin mit diesem Lächeln, welches sich nun deutlich als abschätziges Zeichen zu erkennen gab. Bevor Stari jedoch etwas erwidern konnte, kam ein Kellner auf sie zu und deutete mit einer Flasche an, dass er ihnen nachschenken würde, wenn sie es wünschten. Der Mann mit dem blonden Haar nickte, ohne den Mann zu betrachten und auch Stari schenkte ihm keinen Blick. Als der Kellner nachgeschenkt hatte, stolperte er bei seinem nächsten Schritt und rempelte den jungen Mann leicht an. Dieser schaute mit finsteren Blick auf den Kellner und meinte mit herablassender Stimme. „Pass doch auf Mann! Ist das dein erster Tag? Es wird auf alle Fälle dein letzter sein hier.“
Der Kellner verbeugte sich und entschuldigte sich, dann verschwand er in der Menge. Der Mann mit den blonden Haaren richtete seinen Anzug und meinte dann zu Stari. „Es ist schwierig heutzutage gutes Personal zu finden. Meinen Sie nicht auch?“
Stari, dessen blauen mit Tränensäcken unterlaufenen Augen den Mann nicht verlassen hatten, lächelte amüsiert und nickte. Der Mann ihm gegenüber war so arrogant, dass es Stari bereits peinlich vorkam. Das Ziel dies Mannes war es wohl gewesen Stari aus der Ruhe zu bringen, doch das war ihm nicht gelungen. Unter anderem dank der unfreiwilligen Hilfe des Kellners. Der Mann schien bemerkt zu haben, dass Stari völlig ruhig war und dass er das Momentum nicht mehr auf seiner Seite hatte. Sein Mundwinkel verzog sich kurz etwas gereizt, dann setzte er jedoch wieder sein falsches Lächeln auf.
„Nun Herr Stari, ich danke Ihnen, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.“ Erklärte er und benutzte bewusst das Pseudonym, welches Stari in der Unterwelt gebraucht hatte. Verkehrte er an der Oberfläche des Sumpfes, gebrauchte er seinen bürgerlichen Namen Yevgeni Sorchev. Er hatte sich die Mühe gemacht unter den so genannt anständigen Leuten zu verkehren, wollte die Öffentlichkeit, den Schein des Lichtes auf sich haben. Dafür war der Name Stari nicht geeignet. Er hatte sich auch aus den grossen Geschäften der Unterwelt zurückgezogen und nutzte seinen Reichtum und seinen Einfluss auf legale Weise. Nun legal war wohl übertrieben, nichts in diesem Land konnte legal gemacht werden, dafür war der Sumpf und der Filz zu gross. Aber er hatte das Morden aufgegeben. Ausser jemand überschritt eine Grenze, so wie es der Bluthund vor drei Monaten getan hatte. Doch dies geschah nur selten, selbst die übrigen Grössen der Unterwelt zollten ihm noch so viel Respekt, als dass sie sich nicht wagten etwas Unvernünftiges gegen ihn zu unternehmen.
Das konnte man von diesem jungen Schnösel nicht behaupten. Er war von Natur aus arrogant und nun bemühte er sich auch noch nach besten Möglichkeiten Stari zu beleidigen und wütend zu machen. Natürlich wusste er, dass Stari ihm nichts antun würde. Dafür hatte er zu mächtige Freunde. Auch im Licht, in der Öffentlichkeit gab es sie, die Leute ohne Skrupel und mit viel Macht. Zu diesen gehörte auch dieser Mann, zur Elite, zu jener Clique, welche dieses Land in ihren Händen hielt. Stari wusste um seine Macht, doch sie reichte nicht über das ganze Land, beziehungsweise nicht so weit wie jene des Präsidenten oder seines engen Kreises. Wie eng dieser Mann am Präsidenten war, wusste Stari nicht mit Sicherheit. Er war ein Berater des Innenminister und dieser gehörte zu den Günstlingen des Präsidenten. Dieser junge Schnösel mit dem Namen Wanja Asarov war der Clique nahe, wahrscheinlich zu nahe als dass gegen ihn vorgegangen werden konnte.
Stari betrachtete ihn nochmals eingehend, entschied sich aber auf seine Aussage nicht zu reagieren. Daher fuhr Asarov fort: „Wir haben gehört, dass Sie ein Mann sind, der gewisse Dinge sehr gut kann.“
„Ich kann vieles gut.“ Erwiderte Stari und dies waren die ersten Worte, die er an Asarov richtete.
Der Mann lächelte und meinte: „Nun ja, das mag wohl sein. Wie ich vernommen habe, sind Sie besonders in dunklen Bereichen unseres Lebens sehr erfolgreich.“ Staris Augen zogen sich zusammen. Er ahnte worauf dies hinausgehen würde. „Wir benötigen von Ihnen eine Dienstleistung, die wie ich weiss zu ihrer Hauptprofession gehört. Sie müssen jemanden für uns töten.“
Stari biss die Zähne zusammen und schaute sich ein wenig um. Niemand schien nahe genug zu sein um die Worte Asarovs hören zu können, dennoch bewegte er sich an eine Stelle des Raumes, welche noch abgeschiedener war.
„Was ist los?“ wollte Asarov wissen. „Ich dachte ein Mann wie Sie fürchtet sich nicht vor solchen Worten?“
„Ich bin nicht mehr in diesem Geschäftsbereich tätig.“ Erwiderte Stari mit unterdrückter Wut.
Asarov runzelte die Stirn und meinte: „Ja, wir haben gehört, dass sie scheinbar in die Legalität abdriften wollen. Man hat mir berichtet, dass Sie ein Handelsunternehmen führen. Sicherlich nicht so einfach wenn die Schiffe dauernd in den Häfen festgehalten werden.“
Stari ballte die Hände zu Fäusten und meinte: „Meine Schiffe sind alle korrekt.“
Der Mann lachte kurz auf: „Kein Schiff in diesem Land ist korrekt.“ Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und fuhr fort. „Hören Sie, ich will Sie nicht zwingen, aber wir brauchen jemanden der diesen Auftrag zu unserer Zufriedenheit erfüllen kann. Jemand der zuverlässig und schnell ist.“
„Wer?“
Asarov lächelte zufrieden. „Anton Wacharowitsch. Ich nehme an Sie kennen ihn. Ein Journalist, ziemlich berühmt für seine Enthüllungen und seine offene Kritik an unserer Regierung.“ Stari kannte den Mann und er begann zu verstehen. Heute war ein Artikel in der Zeitung erschienen, welcher den Sohn des Innenministers in Zusammenhang mit dem Mord an einer Prostituierten stellte. Eine bizarre Geschichte, die Stari nicht ganz durchschaute. „Dieser Mann muss in den nächsten drei Tage sterben.“ Fügte Asarov kühl an.
„Drei Tage?!“ meinte Stari und lachte kurz auf. „Das ist nun wirklich nicht ganz einfach.“
Asarov nickte und erklärte: „Deshalb haben wir uns an Sie gewandt.“ Er grinste, nun schmierte er ihm Honig um den Mund. „Meine Vorgesetzten würden sich sehr erkenntlich zeigen. Beispielsweise bei einer Steuerreduktion von vierzig Prozent auf sämtliche geschäftliche Abwicklungen.“
Stari betrachtete den jungen Mann. Er mochte ihn immer noch nicht, aber sein Angebot gefiel ihm.
„Sie werden von mir hören.“ Sagte Stari und entfernte sich.