Asarov verliess raschen Schrittes das Innenministerium. Er war zornig. Fluchend kam er zu seinem Wagen. Fluchend fuhr er davon. Fluchend und immer wieder auf das Lenkrad schlagend erreichte er sein zu Hause. Fluchend und schreiend sass er alleine in seinem Wagen.
Sein Mobiltelefon klingelte. Eine unbekannte Nummer. Asarov beachtete sie nicht. Dann hörte das Klingen auf um gleich nochmals zu beginnen. Wütend schaute Asarov auf das kleine Gerät, welches in seiner Hand lag. „Was ist?!“ Schrie er ins Telefon.
„Herr Asarov.“ Sagte eine ruhige Stimme auf der anderen Seite. Sie kam ihm seltsam bekannt vor.
„Ja.“ Entgegnete Asarov immer noch wütend, aber auch leicht neugierig.
„Hier ist Stari.“ Kam die Stimme aus dem Telefon. „Ich habe gehört, Sie hatten einen schlechten Tag.“
„Was wollen Sie?“ fragte Asarov zischend. Dieser Mistkerl hatte ihm gerade noch gefehlt. Wollte er sich labbern an Asarovs Unglück.
„Ich habe heute morgen die Zeitungen gelesen und mir schon gedacht, dass Ihr Arbeitgeber keine Freude haben würde.“ Der alte Mann schien hämisch durch das Telefon zu grinsen. „Ich hörte dann auch, dass Sie gefeuert wurden.“
„Und jetzt?!“ blaffte Asarov laut. „Das kann Ihnen ja egal sein. Oder bereitet es Ihnen einfach nur Vergnügen sich im Unglück anderer zu sonnen?“
Es war einen kurzen Augenblick still am anderen Ende. „Interessant.“ Sagte der alte Mann mit einem mittleidigen Unterton in der Stimme. „Sie verstehen Ihre Taten tatsächlich nur als ein Zweck für Ihren Erfolg. Haben Sie nie erkannt, dass die Folgen Ihrer Handlungen das Unglück für andere bedeutete? Sahen Sie tatsächlich nur Ihren eigenen Profit?“
Anton schüttelte den Kopf. „Tun Sie nicht so. Glauben Sie Ihre Handlungen hatten kein Unglück zur Folge?“
„Doch, doch.“ Entgegnete der Alte. „Das ist mir sehr bewusst, das war mir immer bewusst. Ich habe es in Kauf genommen. Ich bin das Böse. Sie sind irgendwie noch schlimmer. Bringen Übel ohne es wirklich wahrzunehmen. Vielleicht sind Sie die Banalität des Bösen.“ Der alte Mann am anderen Ende seufzte. „Nun ja, länger möchte ich weder darüber nachdenken, noch mit Ihnen unterhalten. Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass ich es war.“
„Was war?“ fragte Anton, doch Stari legte auf. Anton nahm das Telefon von seinem Ohr und blickte verwirrt auf den Bildschirm. Der Anruf war beendet.
Auf einmal klopfte jemand an die Fensterscheibe. Es war ein hagerer Mann mit silbergrauem, langem Haar, der ihn böse anlächelte. Anton runzelte die Stirn und als er den Lauf der Pistole sah, weiteten sich seine Augen vor Schrecken. Das Klirren der Scheibe hörte er schon nicht mehr.
Andrej sass in seinem Wagen. Sein Blick hing in der Ferne. Er lauschte halbwegs dem Radio. Die Unruhen in der Hauptstadt nahmen weiter zu. Alle Sender berichteten darüber, auch wenn sie nicht genau sagen konnten was los war. Ein spontaner Menschenaufmarsch, nachdem Antons Artikel erschienen war. Anton, der in Polizeigewahrsam gestorben war. Immer mehr unzufriedene kamen auf die Strassen. Unter ihnen auch gewaltbereite Jugendliche ohne Perspektiven. Alte ohne Hoffnung. Unzufriedene, die einen Wechsel wollten. Zornige, die sich ausdrücken wollten. Zuerst war die Polizei dort gestanden, doch diese hatte jegliche Sympathie verloren in dem Augenblick, als klar wurde, wie Anton umgekommen war. Nun kam die Armee.
Andrej wusste sehr wohl, dass die Soldaten früher oder später schiessen würden. Er kannte sie nur zu gut. Ausserdem gab es noch andere Mächte am Werk. Solche, die von den Unruhen profitieren würden.
Die Tür zu einem Haus öffnete sich. Katja kam heraus. Andrej sah, dass sie Tränen in den Augen hatte. Hinter ihr eine Frau Mitte vierzig. Anas Mutter. Bei ihr flossen die Tränen. Andrej blickte zu ihr. Teilnahmslos. Er weinte nicht für gefallene Engel. Während Katja näher kam, wechselte Andrej den Sender. Er suchte nach Musik. Es gab keine. Nur Nachrichten.
Katja öffnete die Beifahrertür und setzte sich. Den Koffer hatte sie natürlich im Haus gelassen. Andrej hätte gerne eine Zigarette zur Hand gehabt. Als Katja die Tür geschlossen hatte, startete Andrej den Wagen. Sie fuhren auf der Schotterstrasse davon und liessen das ärmliche Dorf rasch hinter sich.
Katja blickte hinaus auf die vorbei ziehende Landschaft. Schliesslich sagte sie mit leiser Stimme: „Ana war die älteste Tochter. Drei weitere Kinder leben noch.“
„Und sie werden ein angenehmes Leben haben.“ Entgegnete Andrej ruhig. „Der Koffer wird dafür sorgen.“
Katja nickte. „Wiegt das Anas Leben auf?“ Andrej erwiderte nichts. Die Frage war für ihn irrelevant. Nach einer Weile fragte Katja: „Die eigentlichen Schuldigen leben noch.“
Andrej nickte. „Aber sie wissen, wer all das begonnen hat.“
„Glaubst du sie werden fallen?“
Andrej wusste es nicht. Er war sich nicht einmal sicher, ob er es hoffte. Was wären die Folgen? „Irgendwann.“ Sagte er schliesslich teilnahmslos.
Einige Jahre später konnte man in einem Zeitungsartikel lesen, dass der Sohn des ehemaligen Innenministers auf dem Weg zu seinem Vater aus ungeklärten Gründen von der Strasse abgekommen war. Sein Wagen fiel in einen See. Der Mann und seine Begleiter ertranken dabei. Die einzigen Spuren, welche im Schnee gefunden wurden, waren jene von Wölfen.