Die lauten Chorgesänge drangen über den verwaisten Platz. Ein Bettler lag auf einer Blache und schlief genüsslich seinen Rausch aus. Neben ihm ein Einkaufswagen mit allerlei Zeugs darin. Ein ausgebranntes Auto stand mitten auf dem Platz. Einst war es ein Parkplatz gewesen. Um sie herum einige verfallene Bauruinen. Alte Industriegebäude. Sie hatten ihre besten Zeiten hinter sich. Das Fussballstadion war nicht weit entfernt. Man konnte den Fangesang deutlich hören. Zwischendurch die Pfeife des zwölften Mannes. Das Spiel war vorbei.
Asarov stand vor seinem dunklen Wagen und blickte über den Platz. Sein Blick fiel auf den Bettler und er verzog angeekelt das Gesicht. Ein Windstoss zog an ihm vorüber und Asarov fuhr sich über sein Haar um es erneut glatt zu streichen. Dann faltete er seine Hände vor dem Schoss und wartete. Aus der gegenüberliegenden Ecke kam ein Mann mit zögerlichen Schritten auf den Platz. Asarov erkannte den Journalisten, welcher sich unsicher umschaute.
„Herr Wacharowitsch.“ Rief Asarov und setzte ein aalglattes Lächeln auf. „Ich habe Sie erwartet.“
Anton Wacharowitsch kam ihm einige Schritte entgegen, doch dann hielt er inne und musterte Asarov kritisch. „Ich habe Sie nicht erwartet.“ Entgegnete er laut mit misstrauischem Tonfall. „Wer sind Sie?“
Asarov versuchte milde zu Lächeln, obwohl es ihm nicht einfach war. Er mochte es nicht, wenn Leute nicht wussten wer er war. Nicht umsonst hatte er sich solche Mühen gemacht um im Zentrum der Macht zu stehen. Er wollte, dass sein Name bekannt war, dass die Leute ihn sahen. „Ich bin ein Vertrauensmann.“ Entgegnete Asarov, während er einige Schritte auf Wacharowtisch zumachte. „Mein Vorgesetzter zog es vor nicht selbst zu kommen.“
Wacharowitsch musterte ihn erneut und sage nach kurzem Zögern. „Na gut. Dann lassen Sie hören, was Sie haben.“
Asarov nickte und ging zum Kofferraum und öffnete ihn. Er zog einen dunklen Aktenkoffer hervor und legte ihn auf den Kofferraum, welchen er wieder verschlossen hatte. Er gab eine Zahlenkombination ein und öffnete den Koffer. Dann drehte er ihn Anton zu. „Eine halbe Million Euro. Wie Sie es gewünscht haben.“ Rief ihm Asarov zu. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Bettler sich rührte. Hört das Wort Geld und beginnt sich sofort dafür zu interessieren, dachte Asarov abfällig. Seinesgleichen hat nur das im Sinne, was ihm nicht gehört. Asarov schaute wieder zu Anton, sein Lächeln war jedoch verblichen. „Wo sind die Daten?“
Anton zögerte einen Augenblick, dann sagte er: „Das ist alles wie in einem schlechten Agentenfilm.“ Er schaute sich um und meinte: „Wenn ich die Daten hergebe, werden sicherlich mehrere Kugeln meinen Körper durchbohren.“
Nun musste Asarov doch wieder lächeln. „Nun nun. Solche Menschen sind wir doch nicht.“ Sagte er in beruhigendem Tonfall.
„Entschuldigen Sie, wenn ich das nicht glaube.“ Entgegnete Anton gereizt und schaute sich ängstlich um. „Sie arbeiten für jemanden, dessen Sohn eine junge Frau willentlich überfährt und sie dann zum sterben auf der Strasse liegen lässt.“
Asarov wollte etwas erwidern, aber es gab nichts, was er sagen konnte. Es stimmte. „Nun ja, mag sein. Die Frage bleibt aber, ob Sie das Geld wollen oder nicht?“
Anton Wacharowitsch zögerte einen Augenblick, schliesslich nickte er resigniert. Asarov konnte sich ein überhebliches Lächeln nicht verkneifen. Wie schön, dass alle Menschen doch gleich waren. Auch dieser wollte das, was ihm nicht gehörte. „Idealismus scheint keine Mägen mehr zu füllen.“ Meinte Asarov und schloss den Koffer wieder. „Wo sind also die Daten?“
Anton zögerte erneut. „Ich habe sie nicht.“
Asarov legte den Kopf verwirrt zur Seite. „Sie kommen an ein Tauschgeschäft ohne ihren Tauschartikel? Scheint mir irgendwie seltsam.“
„Es gibt keine Daten.“ Sagte Anton und breitete seine Arme aus, mit den leeren Handflächen nach oben. „Es gab nie welche.“
Asarov kratzte sich am Hinterkopf. „Und was wollen Sie dann tauschen?“ wollte er vom jungen Mann wissen.
„Mein Schweigen.“ Erwiderte Anton ruhig.
Asarov betrachtete den Mann vor sich eine Weile schweigend. Er war vom Verlauf des Gesprächs irritiert. „Der Verlauf dieses Gesprächs irritiert mich.“ Meinte er zu Anton. „Üblicherweise verläuft ein Tauschhandel so, wie er ausgemacht wurde.“ Er fuhr sich mit der Hand über sein glattrasiertes Kinn. „Woher wissen wir, ob Sie nicht doch Daten haben und irgendwann kommen um noch mehr Geld zu erpressen?“
Anton zuckte mit den Achseln. „Ihr müsst mir wohl vertrauen.“ Dabei konnte er sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.
Nun musste Asarov lachen. „Das wird leider nicht reichen. Sie müssen verstehen, ich arbeite in einem Feld, dass sich Vertrauen nicht leisten kann.“ Asarov schüttelte den Kopf und sagte mit enttäuschtem Unterton. „Ich hatte mir gleich gedacht, dass die ganze Sache stinkt.“ Er blickte hinüber zum Bettler, welcher sich mittlerweile aufgerichtet hatte. „Und es wird immer schlimmer.“ Er hob seinen rechten Arm und einige Augenblicke später fuhren zwei Kastenwägen der Polizei auf den Platz. Sie kamen mit quietschenden Reifen zum Stehen und zwei Dutzend Polizisten in voller Kampfmontur sprangen aus den Wägen. Asarov schaute hinüber zu Anton und meinte mit mittleidiger Stimme. „Sie hätten nicht kommen sollen.“
Anton schaute dem Mann fest in die Augen und meinte: „Ich musste.“
Mittlerweile kam der Bettler über den Platz gestolpert. Er bewegte sich langsam und schien noch nicht ganz nüchtern zu sein. Asarov schüttelte den Kopf. „Das sich hier so viel Gesindel versammeln muss.“ Er wollte den Polizisten den Befehl geben sich auf Anton zu stürzen, als er lautes Gejohle hörte. Er runzelte verwirrt die Stirn und schaute hinüber, wo der Lärm herkam.
Aus der Richtung des Stadions kam eine grosse Menschenmenge herangeschritten. Asarov benötigte nicht die Schals, die Fahnen oder den Gesang um zu wissen, dass es eine Gruppe Fussballfans war. Diese kamen auf den Platz geschritten und hielten überrascht inne. Doch anstatt umzukehren und die Flucht zu suchen, begannen die vordersten von ihnen zu lächeln und mit einem gewaltigen Aufschrei rannten sie los. Die Polizisten formierten eine enge Reihe und marschierten den ungestümen Fans entgegen. Asarov, der hinter den Polizisten stand schaute nervös auf die beiden Gruppen, die aufeinander trafen. Steine flogen. Rauchpetarden wurden geworfen. Schläge ausgetauscht.
Anton liess sich zurückfallen. Die Fussballfans rannten an ihm vorüber und trafen auf die Polizei. Der Bettler hatte ihn mittlerweile erreicht und sagte: „Es war ein Versuch wert.“ Anton blickte zu Andrej und entgegnete:
„Es war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.“ Er wandte sich wieder der prügelnden Masse zu. „Aber es gibt noch einen Weg.“
Andrej runzelte die Stirn und schaute ebenfalls nach vorne. Dann begriff er: „Wenn Sie dort hineingehen, werden Sie sterben. Das ist für die Polizei der günstigste Moment um sie loszuwerden.“
Anton nickte. „Ja, ich weiss.“ Er wandte sich Andrej zu und meinte: „Ein Artikel wird morgen erscheinen. Das lässt sich nicht mehr aufhalten. Wenn ich tot bin, wird er Gewicht erhalten.“ Er wollte losgehen, doch Andrej hielt ihn zurück.
„Ist das Ihr Leben wert?“ wollte er vom Journalisten wissen.
„Es geht nicht nur um Ana.“ Erwiderte dieser. „Es geht um uns alle. Es geht um die Wahrheit.“ Andrej sah die Entschlossenheit des Mannes und liess seinen Ärmel los. Anton bewegte sich mit sicherem Schritt auf das Getümmel zu. Auf der anderen Seite sah Andrej, wie der Mann vom Innenminister in seinen Wagen stürzte und losfuhr. Der Aktenkoffer fiel dabei zu Boden und blieb liegen. Andrej ging ebenfalls los.